Der ewige IE

Am 14. März soll auf der Konferenz SXSW der neue IE9 offiziell als fertige Software vorgestellt werden.

In den letzten Monaten wurde der IE9 immer wieder mit positiven Kommentaren überhäuft. Endlich scheint Microsoft einen Browser vorstellen zu wollen, nicht nur eine Software, mit der man Browser herunterladen kann. Nach langem Sträuben baute man Unterstützung für Teile von HTML5 und CSS3 ein. Rein theoretisch scheint nun alles gut zu werden.

Aber ich brauchte nicht die Hinweise eines Mozilla-Mitarbeiters, um skeptisch auf die schönen neue Microsoft-Welt zu schauen. Es ist mir aktuell egal, wie toll der IE9 im Vergleich zu einem anderen Browser ist. Es ist klasse, daß Microsoft endlich gewillt ist, moderne Webseiten mit ihrem Produkt anzeigen zu lassen. Paul Rouget von Mozilla meint, der IE9 sei etwa zwei Jahre hinter Firefox hinterher. In Details mag das stimmen. Im Großen und Ganzen sind sie vielleicht ein Jahr hinterher. Aber sie haben offenbar den Willen gehabt, sich nicht weiter abhängen zu lassen.

Ich habe ein anderes Problem mit Microsoft und dieses Problem haben wir alle: die Langlebigkeit ihrer Produkte.

Produktzyklen

Die Hauptgeschäftsfelder von Microsoft liegen in Bereichen, in denen sie zwar im Wettbewerb stehen. Aber wenn sich mal jemand für sie entschieden hat, dann hört der Wettbewerb und damit der Vergleich auf. Server, Betriebssysteme, Office-Pakete werden nicht parallel zu anderen betrieben, sondern ausschließlich. Microsoft kann die Produktzyklen bestimmen, kann die neuen Features bestimmen und kontrollieren und hat keine direkte, gleichzeitige Konkurrenz. Deshalb sind die Produktzyklen lang und die Gewährleistungen für die eigenen Produkte können lange dauern.

Das Internet ist kein eigenes Produkt

Anders sieht es im Bereich Internet aus. Ich bin noch immer der festen Überzeugung, daß die wichtigen handelnden Personen nicht begriffen haben, daß das Internet kein Teil des eigenen Produktportfolios ist. Man produziert Produkte für das Internet, aber man besitzt es nicht. Deshalb ist eine jahrelange Garantie für einen Browser widersinnig – und wie wir sehen kontraproduktiv.

Microsoft bietet auf den IE eine Garantie von 10 Jahren. Das ist ein schlechter Witz, wenn man die Schnelllebigkeit des Mediums Internet betrachtet. Doch mit dieser Haltung haben sie auf einen langen Zeitraum das Medium Internet beschädigt. Als mit dem IE6 der erste Browserkrieg endgültig gewonnen war, beschloss man, daß dieser Browser das Ende der technischen Entwicklung sein solle. Das IE-Team wurde aufgelöst, es wurden nur noch Sicherheitspatches geliefert.

Doch dieser Browser beherrscht gerade mal die Hälfte des HTML-Sprachumfangs, bei CSS2 sieht es nicht viel besser aus. Und von den vielen (schwerwiegenden) Bugs und seltsamen Eigenerfindungen (hasLayout) wollen wir gar nicht genauer sprechen. Die großen Geschäftskunden von Microsoft ließen sich beruhigen und fokussierten ihre internen Applikationen ganz auf diesen Browser. So, wie wir es zu Beginn des Internet Booms gelernt hatten: „Best viewed with Internet Explorer“.

Kurze Produktzyklen

Alle wissen nun, daß das ein großer Fehler war. Moderne – richtige – Browser zeigen allen IE mittlerweile, was man alles können kann, wenn die Entwickler und ihr Management nur wollen. Vor allem Opera und Chrome zeigen zudem, daß man ständig neue Versionen und Zwischenversionen auf den Markt schmeissen kann und daß Udates Spaß und Sinn machen. Doch deren Nutzer sind anders gestrickt, als die vielen beruflichen IE-Nutzer.

Hoher Testaufwand

In großen Firmen werden Betriebssysteme und Software zentral gewartet und verbreitet. Das führt zu langen Testreihen, ob eine spezielle Software sich auch mit der spezifischen Konfiguration des eigenen Netzwerkes verträgt. Bei möglicherweise mehreren Tausend Rechnern ist das eine verständliche Haltung. Die Britische Regierung hat u.a. wegen dieser Tests eine Petition zur Abschaffung des IE6 abschlägig beschieden.

Es ist gegen das Standardvorgehen einer großen IT-Abteilung, dem User Kontrolle über sein System zu lassen und eine Software unkontrolliert häufig zu aktualisieren. Opera, Mozilla und Chrome wären in einer großen Bank, Versicherung oder Behörde von der IT bestimmt ungerne gesehen.

Ziel der Internet-Nutzung

Es wird sich daran so schnell nichts ändern. Denn diese Firmen und Behörden statten ihre Einzelplatzrechner nicht dafür aus, daß ihre Mitarbeiter privat im Internet surfen und sich an den neuesten CSS3-Spielereien erfreuen. Sie sollen den Browser als Arbeitswerkzeug nutzen, meist nur im Intranet.
Die Realität ist anders, das weiss ich, aber es ist einer Großbank nicht vorzuwerfen, daß sie ihre Mitarbeiter mit einem IE6 surfen läßt, wenn diese doch eigentlich gar nicht im Internet so intensiv surfen sollen, daß ihnen die Beschränkungen dieses Browserimitates auffallen.

Bindung ans Betriebssystem

Man kann also einfach sehen, daß wir noch lange „Freude“ an den technisch veralteten IEs haben werden. Der IE9 ist zudem an Vista oder Windows 7 gebunden. Ein Update einfacher XP-Systeme auf einen modernen IE ist somit ausgeschlossen. Und der IE8 ist eine nur bedingt bessere Alternative. Der IE8 hat zwar nicht so viele Fehler wie seine Vorgänger, aber ihm fehlen trotzdem alle modernen Fähigkeiten bezüglich HTML5 und CSS3. Aus der Sicht einer Webseite, die viele sehr moderne Features nutzt, die in Chrome, Mozilla, Safari und Opera integriert sind, gibt es keinen Unterschied zwischen dem IE 8 und dem IE6 oder gar dem IE5. Alle drei können die entscheidenden Features nicht bieten.

Entwicklungszyklen

Bislang hört sich alles ganz schön frustrierend an, oder? Es wird sich an der Gemengelage aber auch in den nächsten Jahren nicht viel ändern. Großfirmen werden noch länger benötigen, um auf Windows 7 umzusteigen. Und Microsoft? Bislang sieht es so aus, als würden sie in einem zwei- bis dreijährigen Takt ihren Browser erneuern wollen. Das ist ein viel zu langer Zyklus. Es gibt für alle Browserhersteller noch viel zu tun. Die Anforderungen seitens der Kunden und der Entwickler sind hoch.

Strategie

In meinen Augen wird die Zweiteilung in „richtige Browser“ und „IE“ für einen noch nicht absehbaren Zeitraum in eine Dreiteilung gewandelt:

  1. richtige Browser mit hohem Modernisierungspotential
  2. richtige(r) Browser mit niedrigem Modernisierungspotential
  3. veraltete IE

Wir müssen genau diese Dreiteilung offensiv kommunizieren, auch mit Beispielen. Wir können unseren Kunden und Kollegen ruhig sagen, daß man auch für die IE egal welcher Versionsnummer Sachen möglich machen kann, die sie eigentlich nicht können. Aber jeder dieser Ansätze birgt Nachteile mit sich. Und sie sind aufwändig, erfordern Recherche, kosten Zeit. Es ist deshalb eine Entscheidung über ein Zeit- und Kostenbudget, ob man technisch rückständige Browser weiter in allen Aspekten unterstützen will oder ob man deren Rückständigkeit einfach hinnimmt.

Wir müssen darüber mit Kollegen und Kunden offen und offensiv sprechen. Denn wir werden lange in dieser Zwickmühle stecken. Ich habe Hoffnung, daß uns das mehr und mehr gelingen wird. Denn durch die hohe Popularität von iPhone, iPod touch und iPad wird klar, was man im Internet machen könnte, wenn man nur immer könnte. Zumindest bei größeren und mittelständischen Kunden könnte das zu einem Umdenken bei eigenen Projekten führen.

Die Hoffnung stirbt zuletzt.

2 Kommentare

  1. Der Browser ist eine Anwendungsplattform, ein SDK und eine Runtime in einem. Seit Ajax und spätestens seit HTML5 hat das jeder begriffen. Nur Microsoft hat es schon vor 10 Jahren begriffen. Damals war es noch nahezu unmöglich, auf eine Open Web Plattform zu setzen, für die es mehrere Runtimes gibt. 2002 gab es nur eine brauchbare Runtime für die Web-Plattform, das war IE6.

    Wenn Firmen Intranet-Anwendungen schreiben, dann immer noch für einen Browser. Warum? Zum einen weil es einfacher und zuverlässiger ist, eine komplexe Anwendung für eine definierte Engine zu schreiben. Zum anderen weil die richtig cleveren Dinge bisher nur mit proprietären Zusatztechniken gehen. Stichwort ActiveX bei Microsoft oder XPCOM/XPConnect bei Mozilla. Erst seit sehr kurzer Zeit wollen einige Browserhersteller Browseranwendungen APIs bereitstellen, die denen klassischer Desktop-Anwendungen ähneln. Weitesgehend ist das aber noch Zukunftsmusik. Bis dahin muss man proprietäre APIs oder Flash verwenden.

    Es steckt also durchaus eine Rationalität dahinter, den Browser in puncto Herstellersupport genauso zu behandeln wie gewöhnliche Software-Plattformen. Aus Sicht der Software-Entwicklung: Was ist am IE so anders als an .NET oder Mac OS / iOS SDK? Klar, der IE ist nicht nur ein Client für Intranet-Anwendungen, sondern auch ein Browser für das öffentliche Web, das sich ständig ändert.

    Meiner Meinung nach trägt es wenig zur Klärung bei, wenn man Microsoft vorwirft, sie würden das Internet als ihr Produkt ansehen. Das tun sie eben nicht, sonst wären sie Google, IE wäre Chrome und sie würden Software as a (Web-)Service verkaufen. Microsoft sieht vielmehr das Intranet als ihr Produkt an und sie vergessen darüber das Internet als eigenständige, lebendige Welt (ich denke, das meinst du auch mit der Aussage).

    Sie sehen den IE vornehmlich als Plattform für Intranet-Software-Entwicklung. Für eine solche Plattform sind 10 Jahre Support vielleicht sinnvoll und kurze Produktzyklen problematisch. Dass die Web-Plattform immer auch die Open Web Plattform ist, das hat sich bisher weder bei den Unternehmen noch bei Microsoft durchgesetzt. Microsoft springt gerade erst auf den Zug auf, indem sie mit »Same Markup« werben und langsam das Modernisierungspotenzial des öffentlichen Webs als Wert begreifen. Die Gründe, warum Microsoft nicht plötzlich zur Web-Company wird, liegen aber auf der Hand, du hast sie gut beschrieben.

  2. Danke Jens, für diesen Beitrag, Dank auch an Molily für diese nicht weniger schlüssige, jedoch andere Sichtweise.

    Beide Argumentationsketten zeigen, wie ungünstig die enge Verzahnung von Betriebssystem und Browser und die daraus resultierenden Releasezyklen sind. Denn der Browser bedient einerseits den Consumermarkt, der nach den Freuden stetig besser werdenden Technik lechtst und dem Businessbereich, der die von Molily hervorgehobene Verlässlichkeit der Softwareprodukte als Basis für Intranetentwicklungen benötigt.

    Und um so wichtiger ist die im letzten Jahr von der EU erzwungene freie Browserwahl für Anwender, da der Businessbereich kurzfristig sicherlich derart tiefgreifende Strategieänderungen seitens Microsoft entsprechend quitieren würde. Hier ist Microsoft auch weiterhin in einem selbst erschaffenen Dilemma, aus dem es so schnell kein Entrinnen gibt.

    Aus meiner Sicht als Webentwickler tendiere ich dennoch mehr zu Jens kritischer Argumentation, Mircosoft hat mit dem IE7 bis IE9 gezeigt, dass Weiterentwicklung des Browsers unter Beibehaltung proprietärer Erweiterungen für den Intranetbereich durchaus machbar ist. Wenn dem aber so ist, warum kann dann nicht der Consumerbereich mit regelmäßigeren Releasezyklen bedient werden?

    Die aktuellen Zyklen von 2-3 Jahren sind wohl der Hauptgrund dafür, dass Microsoft von HTML5 und CSS3 nur die Teile implementiert, die per Spezifikation abgesegnet sind. Sie haben ja aktuell gar keine Chance auf kurzfristige Änderungen der Specs (wie gerade bei den CSS-Gradients geschehen) zu reagieren. Nur genau hier ist kein Umdenken in Sicht.

    Dem Consumermarkt ist mit dieser Strategie – die sich sehr stark (oder gar zu sehr) an den Interessen des Businessgeschäfts orientiert, blockieren sie somit indirekt die Weiterentwicklung im Open Web, da sie dort gleichzeitig noch immer die Marktführerschaft innehaben.

    Das ist nicht der Weg, dem o.g. Dilemma irgendwann mal zu entkommen. Denn sie schließen mit dem kommenden IE9 nur temporär zu den Konkurenzbrowsern auf und sind in Einzelbereichen vielleicht sogar ein Stück voraus. Aber sie werden diese Nähe oder Spitzenposition bereits in wenigen Monaten wieder verlieren, weil alle anderen Browserhersteller eine kontinuierliche Produktentwicklung pflegen.

    Und diesen Punkt sollte man Microsoft in der Tat immer wieder vor Augen führen, denn durch die Zweigleisigkeit der Anwendungszenarien (die in dieser Form bei keinem anderen Browser existiert) und die eindeutig auf den Businessbereich focussierten Releasezyklen und die Zurückhaltung bei Innovationen, wird es Mircosoft auch weiterhin schwer haben, seinen Ruf im Open Web Bereich nachhaltig zu verbessern, denn in Sachen Performance und Hardwareunterstützung (sowie in vielen anderen Bereichen) ziehen in folgenden 12 Monaten die anderen wieder weit davon.