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F-LOG-GE

Linkfutter 471 - Wahlkampf

In einem früheren Leben habe ich Politikwissenschaften studiert. Ich hatte die Schwerpunkte Wahl- und Parteienforschung. Diese Themen interessieren mich noch immer, obwohl ich ihnen nicht mehr wissenschaftlich folge. Da ich mittlerweile mein Herz ans Internet verloren habe, kam ein länglicher Artikel für mich sehr recht, in dem eine direkte Linie zwischen Big Data und Wahlkämpfen gezogen wurde.

Der Artikel Ich habe nur gezeigt, dass es die Bombe gibt beschreibt ein wenig reisserisch die technische Basis der Trump-Kampagne. Auch bei der Brexit-Kampagne soll diese Technik eine Rolle gespielt haben. Über die Theorien hinter der Big Data-Technik schreibt Martin Sauter. Ein WDR-Journalist bezweifelt hingegen diese einfache Erklärung für das Problem Trump. Er hat keine Beweise, drückt nur seine Skepsis aus. Er kritisiert die geringe Zahl der Belege (exakt zwei Aussagen). Mich irritiert das nicht, schliesslich handelt es sich um Firmengeheimnisse. Und der Erfinder der Technik soll ja wohl zu mehreren Gelegenheiten vor derselben gewarnt haben. Was wiederum skrupellose Geschäftemacher und Wahlkampfmanager nur noch interessierter gemacht haben dürfte.

Ich bezweifle nicht, dass es diese Technik gibt. Ich habe Mitte der 90er schon Wahlkämpfe mit gekauften Adressdaten gemacht, bei denen wir Strassenzüge und Häuser in Parteifarben einkleiden konnten. In Deutschland, in dem es noch so etwas wie Datenschutz gibt und die technische Entwicklung normalerweise weit hinterher hinkt! Wenn ich so etwas in den 90ern ohne Internet machen konnte, nur mit Daten des ADAC und ähnlicher freundlicher Adresshändler, was glaubt ihr, was heute alles möglich ist?

Wir laufen mit mobilen Rechnern in der Gegend rum, die wie Wanzen funktionieren und die - meist vollkommen freiwillig - unser Leben fast vollständig protokollieren. Viele geben freiwillig Profildaten für Kundenkarten raus. Natürlich ist es möglich, all diese Daten zusammenzuführen und ein aussagefähiges Profil zu machen. Und dank der von uns selber eingerichteten Filterblasen in Facebook und Twitter, sind wir auch manipulierbar. Wir sind informationssüchtig geworden und vertrauen viel zu sehr den Informationen aus dem Netz. Es war keine Frage der Zeit, bis das ausgenutzt wird. Es gibt immer jemanden, der uns manipulieren möchte. Das nennt man Werbung!

Jens Scholz ist auch skeptisch über den Artikel. Ich denke, das Problem des Artikels ist, dass er suggeriert, allein die Targetting-Technik, allein Fratzenbuch hätte den Sieg für Trump gebracht. Das ist sicherlich ein Irrtum und eine typische Zuspitzung, die wir bei Journalisten immer wieder finden. Vor allem bei denen, die nicht tief im Thema drin sind. Einfache Erklärungen sind immer schön. Aber ich kann mir sehr gut vorstellen, dass die Beeinflussung über die Medien, vor allem die sehr persönlichen Medien wie Facebook, einen sehr wichtigen Beitrag zum Sieg geleistet haben. Bei manchen Wählern mögen sie sogar entscheidend gewesen sein.

Menschen sind manipulierbar. Das haben psychologische Experimente seit Jahrzehnten immer wieder gezeigt. Manchmal ist die Manipulation fasst riechbar und trotzdem lassen die Menschen sich fremd bestimmen. Noch bis in die Siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts hinein gab es feste Bindungen zwischen sozialen Gruppen und Parteien. Diese bestanden nie ausschliesslich, sie bestimmten aber sehr viele Wahlentscheidungen. Es war wahrscheinlicher, dass ein streng gläubiger Katholik die CDU und ein gewerkschaftlich organisierter Arbeiter die SPD wählte, als umgekehrt. Aber diese Bindungen gibt es nicht mehr. Die Manipulierbarkeit der Menschen ist aber geblieben.

Den aktuellen Stand der Wahlforschung findet ihr sehr kompakt bei der Bundeszentrale für politische Bildung dargestellt. Ich bin mir sicher, dass die Forscher sehr schnell ihren Blick auch auf den Einfluss des Internets und die modernen Kommunikationsmethoden lenken werden. Ich hoffe es.

Nachtrag: Es gibt mittlerweile ein interessantes Interview mit dem Autor des Ausgangsartikels.

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