Skip to main content
F-LOG-GE

Barcamp Heidelberg - Barcamp der Beliebigkeit

Am letzten Wochenende fand das erste Barcamp in Heidelberg statt. Ich hatte mal wieder Lust auf ein Barcamp und versprach mir einiges davon, in einer neuen Umgebung mit neuen Leuten ein Barcamp zu erleben. Das letzte Barcamp war für mich das Barcamp Rhein-Main in Frankfurt. Das hatte mich inhaltlich abgeschreckt, die Stimmung erschien mir auch nicht gut. Also setzte ich meine Hoffnung in das Heidelberger Barcamp.

Die Organisatoren hatten eine interessante Location gefunden: die alte Feuerwache. Das stark renovierungsbedürftige Gebäude ist Heimat vieler Künstler, die sich dort eingemietet haben. Es wurde sogar für mittags ein veganes Buffet organisiert. Hut ab! Leider habe ich das verpasst. Denn die Sessionplanung war der Tod für meinen Traum vom Barcamp-Samstag.

Als ich 2006 auf meinem ersten Barcamp war, drehten sich alle Sessions um das Internet. Das war in meinen Augen auch der Sinn der Veranstaltung. Selten gaben Designer oder Konzepter Sessions, meist waren es Entwickler, SEO-Zauberer und "Entrepeneurs". Die Mischung war jedenfalls immer interessant. Ich konnte immer über den Tellerrand hinausschauen. Hin und wieder gab es auch mal eine Session, die thematisch ausgefallen war.

Beim Barcamp Heidelberg waren aus dieser Sicht fast alle Sessions ausgefallen. Ich bot mit "Modulare Webentwicklung" einen von zwei Beiträgen zur Webentwicklung an. Dann gab es noch eine Session zu "Digitaler Selbstverteidigung", die leider parallel zu mir stattfand, und eine Session zum Schreiben von Überschriften und Subheadlines. Der Rest?

Als ein engagierter Student eine Session zur in Baden-Württemberg wieder eingeführten verfassten Studentschaft (AStA) ankündigte und sich nur ein Interessent meldete, verpasste es die Moderatorin leider zu sagen, die beiden sollten sich einfach privat treffen, aber keinen Slot blockieren. In solchen Momenten merkte man die Unerfahrenheit der Organisatoren und das Bestreben, es allen Recht zu machen.

Sehr ungewöhnlich fand ich auch die Idee der eineinhalbstündigen Abschluss-Session dieses eintägigen Barcamps. Da sollte dann "das Gelernte" im Plenum zusammengetragen werden. Au Backe.

Ich hatte jedenfalls das Glück, für meine Session gleich den ersten Slot zugewiesen zu bekommen. Da die "Digitale Selbstverteidigung" parallel stattfand und ich für die andere interessante Session über gutes Texten den halben Tag hätte warten müssen, entschied ich mich, danach zu gehen. Die Themenvielfalt war einfach erschlagend uninteressant für mich. Es fehlten nur noch meine "Favoriten" des letzten Frankfurter Barcamps: "Ich fotografiere tote Ratten" und "5 Arten des Suizids".

Ein Barcamp stelle ich mir komplett anders vor. Themenschwerpunkt sollte das Internet sein. Ein Barcamp ist quasi eine spontane Internet-Selbsthilfegruppe. In Heidelberg war es mehr ein Grünen-Parteitag mit angedockten Selbsthilfregruppen. Sollte der Themenschwerpunkt nicht das Internet sein oder es einen definierten Schwerpunkt geben, dann hat sich eine Markierung im Namen durchgesetzt. Dann gibt es halt das "EduCamp" oder das "GrillCamp". Gibt es das nicht, erwarte ich Sessions rund um das Internet. Vor lauter abseitiger Themen habe ich ernsthaft die "guten , alten" SEO-Einführungs-Sessions vermisst.

Für das Themen-Desaster können die Organisatoren nichts. Sie haben ihre Sache, so ich das in den knapp zwei Stunden sehen gute, gut gemacht. Ein Barcamp wird von den Teilnehmern inhaltlich gemacht. In diesem Fall waren etwa die Hälfte der Teilnehmer auf ihrem ersten Barcamp. Ich finde, sie haben ein schlechtes Beispiel für ein Barcamp bekommen. Aber vielleicht sind ja viele dieser Newbies glücklich damit, endlich ihre Themen platzieren zu können und nichts mit dem Internet zu tun zu haben.

Zu meinem Glück gibt es Twitter. Mein Tweet darüber, dass das Barcamp Rhein-Neckar nicht meinen Erwartungen entspricht, kulminierte nach ein paar Dialogen darin, dass ich ins nahegelegene Mannheim fuhr, um dort noch spontan an der Unkonf teilzunehmen. So war ich wenigstens nicht vollkommen sinnfrei um 6.15 Uhr aufgestanden.

Die Unkonf war eine reine Entwickler-Konferenz. Auch hier gab es Licht und Schatten. So hatte ich beispielsweise gedacht, der Vortrag über "Internet of Things" würde mich in das Thema einführen. Stattdessen sollten wir, als es interessant wurde, mit unseren Smartphones mit einer Node-Applikation des Vortragenden kommunizieren, was leidlich klappte. Es war Firlefanz statt Info, aber es war ein einmaliger Ausrutscher. Alle anderen von mir besuchten Sessions waren informativ. Ein Vortragender verzeichtete sogar komplett auf Slides, was seinem Vortrag in meinen Augen sehr half.

Ich habe den Eindruck, dass Barcamps sich von mir wegentwickeln. Das ist schade. Denn so gut auch die Inspirationen waren, die ich bei der Unkonf bekam, sie waren rein von Entwicklern für Entwickler. So wurde auch Webtypographie von einem Entwickler beackert. Ich habe es immer genossen, über meinen Entwickler-Tellerrand hinausschauen zu können. Dafür waren Barcamps gut. Ich gehe aber nicht dorthin, um politische Agitation mitzubekommen, um Einkaufstipps für Kopfhörer zu erhalten oder Tanzschritte zu lernen. Wenn das Euer Barcamp ist, meines ist es nicht.

Wäre es denn so sehr ein Affront, ein Barcamp thematisch einzugrenzen? Und wenn jemand mit Hawaiianischen Tänzen oder Bootsflüchltingen als Thema kommt zu sagen, diese Themen kommen auf eine Warteliste, um etwaige Lücken zu füllen? Lasst uns doch wieder internetzentrierte Barcamps machen, keine x-beliebigen Barcamps. So leid es mir tut, mit diesen schlechten Erfahrungen habe ich keine Lust mehr, wie früher weite Fahrten mit Übernachtung auf mich zu nehmen. Ich kann nur noch im Rhein-Main-Gebiet schauen und wie im Falle von Heidelberg dann schnell den Rückzug antreten, wenn die Beliebigkeit das Regiment übernimmt. Ich war immer ein leidenschaftlicher Fan von Barcamps. Ich habe fast Angst vor dem nächsten. Es könnte meine Leidenschaft begraben und mein letztes sein.

Dies ist ein Archiv meines alten Weblogs, das von Oktober 2006 bis Dezember 2022 als Wordpress-Instanz existierte.