Ein kurzer Blick auf die Online-Presse
Anfang Oktober überraschte die Alte Tante FAZ mit einem Relaunch ihrer Webseite. Das gibt mir einen guten Anlass, einen ganz kurzen Blick besonders bekannter Printprodukte zu werfen. Ich tue dies auch, weil ich in meinen Schulungen und Vorträgen in den letzten Jahren immer den STERN und neuerdings die Süddeutsche als schlechtes Beispiel nehme. Ich möchte hier keine intensive Quellcodekritik vornehmen, sondern werfe nur einen groben Blick auf die Semantik der jeweiligen Webseiten. Ich erinnere dabei daran, dass die FAZ eine der lautesten Stimmen während der jahrelangen Diskussionen um die Rechtschreibreform war. Nicht nur dieses Blatt legt großen Wert auf sprachliche Qualität. Deshalb sollte man doch annehmen, dass sich eine adäquate Qualität auch ins Web durchzieht. Leider ist diese Annahme grundfalsch.
Die FAZ präsentiert auf der Startseite keine einzige Überschrift. Auf Unterseiten sind die Artikel selber mit Überschriften strukturiert. Weitere sinnvolle Überschriften gibt es selten. Meist wird mit dem b-Element (bei XHTML 1.1 !!) oder div.rubrikenkopf
formatiert.
Die Süddeutsche ist kaum besser. Auf der Startseite wird das Logo als h1
formatiert. Sonst ist keine Überschrift einer korrekten Auszeichnung würdig. Auf den Artikelseiten wird dessen Überschrift doppelt als Überschrift ausgezeichnet, einmal in der Breadcrumb (h1
), einmal als Artikelüberschrift (h2
). Jede weitere Überschrift wird wie anno 1996 unsemantisch formatiert. Headlines über Seitenboxen werden auch vorzugsweise über das sinnfreie (div.headline
) gelöst.
Die beiden eben besprochenen werden in Zukunft in meinen Vorträgen den STERN als abschreckendes Beispiel ablösen. Der präsentiert auf der Startseite immerhin drei Überschriften, obgleich es sich dabei auch nur um Nebensächlichkeiten handelt. Die eigentlichen Überschriften werden von so schal klingenden Konstrukten wie a.h2
und span.boxHeadline
umfasst. Auf den Unterseiten werden hingegen ein paar unlogische Überschriftenstrukturen verstreut und noch immer nicht alle Überschriften als solche ausgezeichnet.
Es geht aber auch gut. Das zeígen Die Welt, Die ZEIT, die Frankfurter Rundschau, die taz, der SPIEGEL und der FOCUS. Alle präsentieren eine gute bis sehr gute Überschriftensemantik. Sie zeigen online Professionalität, die FAZ, Stern und Süddeutsche eindeutig vermissen lassen.
Ich möchte wirklich zu gerne wissen, woher bei den drei kritisierten Publikationen die Angst vor der Überschrift kommt. Ich gehe stark davon aus, dass es in der FAZ einen Sturm der Entrüstung gäb, wenn die Redakteure nur noch im Dativ schreiben dürften, alle Kommata vor Drucklegung automatisch gelöscht würden oder alles in Kleinschreibung veröffentlicht würde.
HTML ist im Prinzip eine vollkommen einfache und logische Sache. Ja im Detail kann es mal hakelig werden, aber grundsätzlich stimmt die Behauptung. Wir schauen, welcher Art der auszuzeichnende Text ist (Überschrift, Absatz, Liste) und wählen den dafür adäquaten Tag. Warum also nutzt jemand a.h2
anstatt h2
?
Ich hoffe, irgendwann jemanden zu treffen, der an einer der genannten Projekte beteiligt war und mir erklären kann, welche Entscheidungswege zu diesem miserablen Quellcode geführt haben. Für sachdienliche Hinweise bin ich sehr dankbar.
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HTML5-Standardwerk zieht um