Wenn wir könnten, wie wir wollen
"Wenn ich nur könnte, wie ich wollte...", wird sich so mancher denken, angesichts der vielen netten Möglichkeiten von CSS3. Runde Ecken sind damit ein Kinderspiel, einfach zu pflegen. Sie funktionieren zudem in allen Lebenslagen. Kleine, feine Animationen funktionieren in Webkit-Browsern und bestimmt auch bald in anderen modernen Browsern. Auch die vielen CSS3-Selektoren sind ein Segen. Doch immer schwebt das Damokles-Schwert Internet Explorer über uns Webentwicklern. Die Welt ist leider ungerecht: nicht alle Nutzer surfen mit den neuesten Browsern. Unterschiedliche Fähigkeiten dürften den wenigsten bekannt sein. Wissen muss dies sowieso niemand, bis auf uns, die wir professionell mit Webseiten umgehen. Den Nutzern ist es egal, wie wir zum gewünschten Ergebnis kommen, unseren Kunden oft auch. Es ist eine echte Herausforderung, dem Kunden begreiflich zu machen, daß man technisch rückständigen Browsern wie den vielen Internet Explorern nur mit Mühe ein gewünschtes Layout unterjubeln kann, während dies bei modernen Browsern schnell und einfach geht.
Es wird noch lange eine Herausforderung bleiben, für Progressive Enhancement zu werben. Also dafür, dem Browser das zu geben, was er kann und nicht mehr. Wir haben uns selber in diese missliche Lage gebracht, weil wir jahrelang Wege gesucht und gefunden haben, anspruchsvolle Designs auch für den IE zu realisieren. Unsere Kunden wissen also, daß wir Wege finden werden, alle Details browserübergreifend zu realisieren. Wir sollten dazu übergehen, die Aufwände zu spezifizieren, die eine moderne und eine IE-spezifische Lösung bedeuten.
Vor kurzem habe ich in einem kleinen Team an einem Projekt gearbeitet, dessen Frontend sich durch viele runde Ecken, Verläufe und Schatten auszeichnete. Diese runden Ecken mit Schatten mußten sich zudem auch über andere Boxen legen können. Da es sich um eine Intranet-Anwendung handeln wird, konnten wir von einer extrem hohen IE-Dichte ausgehen. Allein für die unterschiedlichen runden Ecken, mit und ohne Schatten, hat ein Kollege mehr als einen Tag benötigt, um alle Grafiken in Sprites vorzubereiten. Hinzu kamen meine Aufwände, die richtige Struktur zu finden. Hätten wir alles nur mit CSS3 realisiert, wären wir nach einer halben Stunde fertig gewesen. Den Zusatzaufwand kann man in Euro ausdrücken. Die mit der grafischen Sonderlösung zusammenhängende Performanceverschlechterung hat nachher auch finanzielle Folgen und sie verschlechtert die Nutzerfreundlichkeit.
Vielleicht tragen Apples Kult-Geräte iPod, iPhone und iPad ja dazu bei, daß ein Umdenken entsteht. Auf diesen Geräten laufen keine Internet Explorer. Hier kommt mit Safari ein Webkit-Browser zum Einsatz. Apple ist dabei, immer neue Spielereien zu entwickeln, die sie in ihren Browser implementieren. So wie Microsoft dies früher auch tat. Möchte man nun also seine Seite "für das iPad optimieren" und geht man dabei den alten, traditionellen Weg, muss man entweder alle neuen Apple-Spielereien für alle anderen Browser mittels Javascript nachbauen oder eine separate Webkit-Version einer Webseite erstellen. So oder so, es endet in einer Wartungshölle.
Chris Heilmann zeigt in einem Artikel bei Microsofts "Script Junkie", wie man praktisch mit "Progressive Enhancement" zum Erfolg kommt. Ich stelle in meinem ersten Artikel bei "Create or Die" ein paar Seiten vor, mittels derer man CSS3 austesten und sich Code ausgeben lassen kann. So kann jeder mal "reinschnuppern".
Wir müssen damit rechnen, daß der IE6 noch ein paar Jahre mit hohen Zugriffszahlen existieren wird. Aus der Sicht einer performanceorientierten, sparsamen Erstellung von Webseiten ist es aber egal, ob der IE6 stirbt oder nicht. Erst ab dem IE9 wird die Sache für uns interessant. Die IE-Versionen 7 und 8 müssen also auch erst von der Bildfläche verschwinden, bis wir nicht mehr genötigt sein werden, Krücken zu nutzen. Das wird viele Jahre dauern, denn die Beharrungskräfte sind sehr stark, wie die Antwort der Britischen Regierung auf eine Petition gegen den IE6 in Behördennetzwerken zeigt. Die Regierung will weiterhin auf den IE6 bauen. Zum einen glauben sie, eine adäquate Sicherheit auch über Firewalls erzeugen zu können und verweisen dann darauf, daß es zuviele interne Applikationen gibt, deren Funktionsweise mit anderen Browsern nicht gewährleistet ist. Ein Test wäre zu aufwändig und teuer. Chris Heilmann analysiert die Argumentation sehr detailliert und fundiert. Sein Artikel ist ein wichtiges Dokument, um sich unser Dilemma vor Augen zu führen. Denn obwohl es sich um die Britische Regierung handelt, wird sich deren Argumentation nicht stark von Firmen und Behörden in Deutschland unterscheiden.
Das Dilemma ist relativ einfach: Aus Sicht der Britischen Regierung (und der meisten Firmen) sind die Browser für die Nutzung des Intranets und internen Tools da. Die private Nutzung des Internets wird mehr oder minder geduldet. Es ist aber nicht die Aufgabe der Regierung oder einer Firma, für eine bessere Nutzung von Google Maps, eines Reiseportals oder von GoogleMail zu sorgen, wenn dies nicht im Behörden-/Firmeninteresse geschieht.
Es gibt aber nicht zu ignorierenden Nutzungsspitzen während der üblichen Bürozeiten. Deshalb sind die meisten Anbieter im Netz daran interessiert, auch den Nutzern aus Behörden- und Firmennetzwerken eine angenehme und moderne Webseite zu präsentieren. Es wird schwer, dagegen zu argumentieren. Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf, daß spätestens eine detaillierte Auflistung der Sonderaufwände für den IE und die damit verbundenen Kosten ein Umdenken hervorbringt.
Gerne werden Javascript-Lösungen propagiert, die dem IE runde Ecken und mehr beibringen sollen. Meine Erfahrungen damit sind nicht berauschend. Ich rate davon ab, runde Ecken mittels Javascript zu erzeugen. Richtig schlimm sind Skripte, die transparente PNGs im IE6 ermöglichen sollen. Sie ziehen die Performance extrem in den Keller. ich finde es wichtig, ein Layout von Beginn an als Ideal zu definieren, das in manchen Browsern nicht erreicht werden wird. Der IE ist nunmal wie ein schwarz-weiss Fernseher: Man kann damit Farbfilme sehen, sie werden aber anders dargestellt und das richtige Vergnügen stellt sich erst mit einem Farbfernseher, also einem modernen Browser, ein. Wenn wir dies immer mehr Kunden und Kollegen begreiflich machen können, werden wir unsere Freude mit CSS3 haben. Wenn nicht, wird es ein Haufen Arbeit, zweigleisig zu fahren.
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