Den Teufelskreis brechen
Seit Monaten läuft - immer wieder in Schüben - die Diskussion über den weiteren Umgang mit dem IE6 durch zahlreiche Blogs. Die Diskussion ist nicht neu, aber sie gewinnt immer mehr an Bedeutung, je länger die Zeit fortschreitet. Wir diskutieren über die Behandlung eines Browsers aus 2001, der noch vor den Anschlägen von New York auf die Welt kam. Wir tun dies angesichts der Tatsache, daß der IE8 vor der Tür steht. Wir tun dies aber auch angesichts der Tatsache, daß der IE6 einfach nicht "sterben" will. Ingo Chao, das Mastermind hinter der Beschreibung der "hasLayout"-Eigenschaft und Co-Autor eines sehr empfehlenswerten Buches über CSS, hat im Blog seines neuen Arbeitgebers Xing einen Artikel zu ebendiesem Dauerbrenner-Thema geschrieben, der den Fokus anders als gewohnt ausrichtet.
Ingo sagt zu Recht, daß wir selber am derzeitigen Zustand nicht unschuldig sind, da wir jahrelang bestrebt waren, dem IE6 Sachen beizubringen, die er in Ermangelung guter Programmierung leider nicht konnte. Wir haben uns in gewissem Sinne die Grube selber gegraben, aus der wir derzeit nicht herauskommen. Da gebe ich ihm recht. Allerdings sehe ich nicht, daß wir eine große Alternative gehabt hätten. Zudem haben uns diese Tricks und Kniffe auch die eine oder andere Erkenntnis über Browser und die einzelnen Webstandards gebracht.
Der Kernpunkt zur Lösung des Problems ist ein anderer. Wir müssen uns von der irrigen Annahme verabschieden, wir könnten Pixelperfektion in allen Browsern garantieren. Wir müssen uns von der Annahme verabschieden, Pixelperfektion sei ein sinnvoller Wert. Vor allem Kunden und Grafiker müssen in meinen Augen lernen, daß Pixelperfektion nur im Bildbearbeitungsprogramm sinnvoll ist, aber nicht in unterschiedlichen Browsern.
Alle, die professionell für das Internet arbeiten, sollten wirklich begreifen, daß das Geniale des Internet seine Flexibilität ist. Im Gegensatz zu allen anderen Medien habe ich eine sehr große und sehr variantenreiche Auswahl von Möglichkeiten, Internetinhalte zu konsumieren. Ich habe viele visuelle Browser für viele Betriebssysteme, ich kann mir Inhalte vorlesen lassen oder in Braille-Schrift wandeln lassen, ich kann sie ausdrucken und ich kann die vorgegebenen Layouts selbständig durch Userstylesheets oder Änderungen am Betriebssystem verändern. Diese Felxibilität bietet mir der Print nicht. Wenn mir das Layout einer Zeitung nicht gefällt, kann ich es nicht ändern.
Wenn diese Flexibilität aber die große Stärke des Internet ist, warum versuchen dann so viele Beteiligte, sie einzuschränken? Möglicherweise, weil uns Erfahrung und Vorstellungsvermögen fehlen. Wir sollten mehr dazu übergehen, Grundlayouts zu entwerfen, die eine solide Basis für alle visuellen Darstellungen bieten, auch für den Dino IE6. Und dann können wir dazu übergehen, den Browsern, die auf dem aktuellen Stand der Entwicklung sind, mehr zu geben. Das führt in einem ersten Schritt dazu, daß nur die wenigsten Besucher die tollen Layouts sehen. Denn die meisten Menschen surfen mit einem IE und der ist auch in der kommenden Version 8 qualitativ weit hinter der Konkurrenz. Doch vielleicht entwickelt sich so heilsamer Marktdruck, daß die minderwertigen Browser von immer mehr Menschen gemieden werden. Ein wenig so, wie bei der Einführung der Umweltplaketten oder steuerlicher Nachteile für Autos ohne Kat.
Vor allem müssen wir Webentwickler den Kunden begreiflich machen, daß jede übermäßige Rücksichtnahme auf einen IE Extrakosten durch erhöhten Zeitaufwand verursacht. Diese Kosten muss der Kunde am Ende bezahlen. Wenn es ihm das wert ist, soll es uns recht sein. Aber vielleicht können wir auf diese Weise den passenden Druck erzeugen.
Keine Alternative sehe ich allerdings darin, für normale Webseiten alle IE6-Nutzer auszugrenzen und ihnen kein Layout zu geben oder am besten mittels separater Hinweisboxen auszuschimpfen. Jeder soll auch im Internet nach Belieben surfen dürfen. Aber niemand soll von mir erwarten, daß ich in diesem schnelllebigen Medium einem acht Jahre alten Browser die gleiche User Experience gewähre, wie einem modernen Browser. Jeder Browser sollte das bekommen, was er kann.
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