Erste Eindrücke von Google+

Seit wenigen Tagen ist Google+ aus der geschlossenen Beta-Phase heraus. Und nachdem über Twitter wie immer ein Sturm der Invite-Anfragen losging, tat sich eine Hintertür auf und die Schleusen waren geöffnet. Auch wenn ich nicht immer bei allen Social-Media-Dingens dabei bin, der neue Dienst von Google interessierte mich. Ich mag Google-Produkte und nutze manche von ihnen intensiv. GoogleDocs bspw. finde ich eine tolle Arbeitserleichterung bei der Arbeit im Team. Also bin ich jetzt auch bei Google+.

Um meinen Umgang mit allem „Social-Dingenskirchen“ klarzustellen, muss ich vielleicht ein klein wenig ausholen. Vor ein paar Jahren war ich kurzzeitig Facebook-Mitglied. Die ständigen Spielaufforderungen meiner „Freunde“, nervige Applikationen und die unaufgeräumte Optik stiessen mich allerdings ab. Ich habe zudem nie einen Nutzen für mich entdeckt. Bei „Wer kennt wen?“ habe ich mich auch angemeldet, schaue dort aber fast nie rein. Es kann sein, dass mir so einige Nachrichten entgangen sind, denn dieser grottenhässliche Dienst kommuniziert einfach nicht mit der Aussenwelt. Man bekommt keinen Hinweis, dass eine Mail eingegangen sei und nach 30 Tagen sind sie weg. Nicht wie bei Xing, wo ich noch jahrelang Mails aufheben kann.

Ich bin bei vielen weiteren Diensten angemeldet, die ich fast nie nutze. Meine Social-Nutzung reduziert sich auf Twitter, Xing und delicious.

Und nun kommt also Google daher und verspricht mir ein andersartiges soziales Netzwerk. Ich war gespannt. Schon nach wenigen Tagen kann ich ein paar wenige Sachen festhalten:

  1. Rein optisch ist Google+ um Klassen besser, als das, was ich von Facebook in Erinnerung habe.
  2. Inhaltlich ist Google+ eine Herausforderung, wenn nicht gar eine Überforderung. Weil die Inhalte sehr lang werden können, sich Kommentare dazu gesellen und jedes dritte Video tausendfach kopiert wird, bin ich nur am Scrollen und Blättern und finde schwer relevante Infos.
  3. Das Grundrauschen bei Twitter ist schon hoch, aber durch die starke Zeichenbegrenzung leicht zu überblicken. Bei Google+ ist das Ignorieren von Inhalten harte Arbeit.
  4. Morgens scanne ich immer die in der Nacht verpassten Twitterinhalte. Es interessiert mich. Dieses Interesse habe ich bei Google+ nicht.
  5. Die rote Zahl der neuen Infos ist im Google-Universum nun omnipräsent und übt einen starken Druck auf einen neugierigen Menschen wie mich aus.
  6. Ich weiss, wozu ich Twitter nutze. Wofür brauche ich Google+?
  7. Twitter-Nachrichten sind schnell geschrieben. Das ist ein Grund, weshalb ich immer seltener blogge. Google+-Nachrichten sind so ein Zwischending und deshalb für mich aktuell nicht praktikabel.
  8. Aktuell wünsche ich mir – wie viele andere auch – eine echte Verknüpfung zwischen Twitter und Google+. Dann würde ich Twitter immer nutzen und in Google+ nur hin und wieder reinschauen.
  9. Die Sache mit der Veröffentlichung meiner Beiträge muss ich noch genauer durchdenken. Ich habe da wohl etwas nicht ganz geschnallt. Bislang waren meine Beiträge immer nur an bestimmte Zirkel. Das ist Quatsch.
  10. Einmal an Zirkel verschickte Nachrichten würde ich gerne im Nachhinein als „öffentlich“ nachdeklarieren können. Bislang habe ich einige Beiträge geschrieben, das mit „öffentlich“ habe ich dabei vollkommen ignoriert und falsch gemacht. Naja, in meinem Alter … 🙂
  11. Ich hätte gerne eine Funktion, mit der ich einmal gelesene Beiträge, die dann von anderen einfach weitergeleitet/kopiert werden, für die Zukunft ignorieren kann. Dann sehe ich nicht hunderte Male, wie die Google+-Lady der Facebook-Lady eine scheuert. Einmal ist das witzig, aber dem zehnten Mal nervig. In Twitter sind massenhafte Retweets nur wenige Zeichen. Bei Google+ können sie die gesamte Höhe des Bildschirms füllen.

Twitter begeistert mich, ist zu einem integralen Bestandteil meiner Arbeit und meines werktäglichen Ablaufs geworden. Google+ hat dazu nicht das Potential. Aber ich werde es nicht in Grund und Boden verdammen. Es ist zumindest das soziale Netzwerk, das mich am ehesten zum Nutzer werden lässt. Denn mit Google-Produkten habe ich täglich zu tun und optisch ist es angenehm. Wie alle sozialen Netzwerke verlangt es aber auch Aufmerksamkeit. Diese geht von meiner Arbeits- oder Freizeit ab. Bislang sehe ich nicht ein, meine Arbeitszeit für viel redundante heisse Luft übermässig zu beschneiden.
Vielleicht sieht die Sache in ein paar Wochen anders aus, wenn sich die ersten Wogen geglättet haben und dann nicht alle paar Minuten ein neuer Inhalt kommt.

Einen sehr guten Hinweis hat mein Freund Vladimir Simovic gepostet: Mittels einer Zeile in der htaccess kann man einen Shortcut auf der eigenen Seite zur aktuell noch sehr kryptisch anmutenden Google+-Adresse setzen. Bei mir ist es http://grochtdreis.de/+.

Sehr wahr ist übrigens in weiten Teilen die Satire „Google+ oder ‚In 20 Schritten zum Mainstream‘ “ von Tapio Liller. Ein sehr lesenswertes Stück.

Und zum Schluss noch der Hinweis auf Oliver Gassners Versuch, seine ganzen sozialen Netzwerke logisch zu sortieren. Kommunikation ist harte Arbeit!

5 Kommentare

  1. Hallo Jens,
    ich teile vollkommen Deine in 11 Punkten dargestellte Meinung. Momentan sehe ich keinen Einsatzzweck für Google+. Es scheint mir wie eine sehr hübsche Lücke zwischen Twitter und Facebook, kann aber noch keines der beiden ansatzweise ersetzen. Lese mir jetzt mal Olivers Versuch durch, habe nämlich eigentlich keine Lust, mehr als Twitter, Facebook und Xing zu pflegen…
    Danke für den Beitrag, Gruß Dennis

  2. Ich glaube der Nutzen von Google+ wird sich erst dann zeigen, wenn sich die eigenen sozialen Zirkel dort einfinden. Aktuell sind noch keine Familienmitglieder von mir dort, mit denen Bilder von Enkeln, Neffen, etc. ausgetauscht werden können. Noch kaum persönliche Freunde mit denen man abends schnell einen Hangout startet um das Neuste zu bequatschen.

    Der Unterschied zu Twitter ist nicht die erhöhte Zeichenlimitierung, sondern die gezielte Kommunikation, die — im Gegensatz zum viel zu komplizierten Gruppenkonzept von Facebook — bei Google im Vordergrund steht (ganz abgesehen von sämtlichen anderen Problematiken die Facebook aufweist). Ich sehe das in der Hinsicht eher als Ergänzung für meine nicht-öffentliche Kommunikation mit Familien und Freunden.

  3. Hallo Jens,
    auch ich teile Deine Meinung völlig. Einzig die Tatsache, dass Konkurrenz immer gut ist lässt mich ein weiteres Netzwerk begrüßen!
    Vor allem den Punkt mit der Nachrichtenflut finde ich relevant. Wer hat Zeit & Nerven such das alles durchzulesen…. Das ist mir schon bei Twitter zu viel. Du schreibst, Twitter sei integraler Bestandteil deines Arbeitsalltags geworden. Mich würde mal interessieren wie. Ich schaffe zur Zeit nicht mal meine Rss im Google Reader alle zu scannen, da auch ich ein neugieriger Mensch mit (zu) vielen Interessen bin…

  4. Google+ dürfte für diejenigen interessant sein, die alles an einer Stelle haben wollen. Googles Buzz wäre ja der Pedant zu Twitter (wird aber wohl von zu wenigen genutzt). Irgendwie klar das dann auch noch ein Pedant zu Facebook her musste.

    Aber was meinst du mit „echte Verknüpfung zu Twitter“? Die Inhalte von Twitter in Google+? Oder sowohl G+-Inhalte bei Twitter als auch Twitter-Inhalte bei G+?
    Wenn du deinen Twitter-Feed mit Google Buzz verknüpfst, dann hast du zumindest schon mal deine Twitter-Inhalte bei Google. Danach sollte es eigentlich nur noch ein kleiner Schritt sein um den Buzz-Feed bei G+ zu importieren.

    Ich denke aber mal das die Zukunft wieder eine Reihe an Applikationen und Webseiten hervorbringt mit denen man Streams (z.B. RSS) aus allen erdenklichen Quellen zusammen ziehen kann und es dann auch relativ egal ist ob man bei Twitter oder in G+ postet. Ich gehe auch davon aus, dass Anbieter wie Google es den Applikationen bzw. Webseiten offen lässt in wie weit sich Inhalte filtern lassen. Google und vor allem Google+ werden wohl in Zukunft reine Informationsanbieter die die Informationen selber gar nicht mehr nennenswert aufbereiten.
    Ich gehe davon aus das Google+ ähnlich wie Twitter genutzt wird. Minimale Weboberfläche und eine sehr starke API. Gefühlt nutzt ja auch kaum jemand die Weboberfläche von Twitter, viele greifen eher auf Clients wie Tweetdeck o.d.gl. zurück.

  5. ich teile mir das Lesen auf,
    indem ich nicht den Stream lese, sondern eben gezielt einen *Circle*
    das find ich angenehmer und übersichtlicher,

    es soll außerdem der Stream nach zeitlicher Relevanz geändert werden und nicht wie jetzt nach Anzahl der Kommentare…

    ich finds übersichtlich und schlicht sogar für mich als privater absoluter FB Muffel- dort bin ichnicht, war ich nie privat möcht ich nie sein,

    für mich ist das *mehr* an Kommunikation gegenüber Twitter ein Vorteil und natürlich das Einteilen in Circles