Rückblick auf das Barcamp Mainz

Am Wochenende war ich auf dem Barcamp Mainz, zusammen mit etwa 250 anderen „Internetspezialisten“. Wenn ich richtig gezählt habe, war es mein neuntes Barcamp. Jedes hatte seinen eigenen Charakter, aber dieses Barcamp hatte eigene Akzente, die mir erst mit ein wenig Abstand klargeworden sind und die mir Hoffnung auf eine spannende Zukunft machen.

Das Barcamp war super organisiert, es gab keine größeren Pannen, die Helfer und Organisatoren waren nicht nur zahlreich, sondern auch immer sehr freundlich, schnell und hilfsbereit. Schon in Stuttgart merkte man die ordnende Hand der Organisatoren, in Mainz war sie phasenweise sehr stark zu spüren. Das irritierte einige Teilnehmer, vor allem alte Barcamp Hasen und -Häsinnen. So wurden die Sessions zwar einzeln vorgestellt, die Terminierung übernahm allerdings der „Session-Master“. Er sorgte so dafür, daß eine inhaltliche Überlappung bestmöglich vermieden wurde.

Ich fand diese Ordnung gut. Ich fand es auch gut, daß wir „nur“ fünf Räume zur Verfügung hatten. Der Eindruck, etwas Wichtiges verpaßt zu haben, steigt exponentiell mit der Anzahl der Räume.

Der schwächste Aspekt des Barcamps war das Mittagessen. Am Samstag wurden wir in der Mensa „verköstigt“. Ich durfte fetststellen, daß das Essen dort noch immer so mies schmeckt, wie zu meinen Studienzeiten. Ich habe 1994 meinen Magister gemacht und ich finde in diesem Falle Kontinuität keine Tugend. Die Suppe von der Suppen-Marie am Sonntag war hingegen um Welten besser.

Es war aber nur das Mittagessen schwach. Frühstück und Kuchen waren klasse, Kaffee existierte ständig und in ausreichenden Mengen, ebenso andere Getränke. Herz, was willst Du mehr?

Die Themen der Sessions waren durchweg interessant, oft direkt auf Diskussion angelegt und boten keine der nervigen Klassiker. Es gab keine SEO-Session, keine über „Wie installiere ich WordPress MU“ oder „Wie monetarisiere ich mein Blog“. Das Barcamp als Veranstaltung scheint erwachsener zu werden. In vielen Sessions wurde auch in die Zukunft geschaut, wurde Anleitung zum Experimentieren gegeben. Und ich hatte den Eindruck, daß die Teilnehmer diskussionsfreudiger waren, als auf vielen anderen Barcamps.

Dank des Instituts für Informatik konnten wir in Räumen der Uni Mainz zwei interessante Tage verbringen. Diese Tage waren aber auch für den Dekan der Informatik sehr interessant. Er zeigte sich in der Abschlussveranstaltung zutiefst beeindruckt von dieser Veranstaltungsform und vom Niveau der Sessions. Ihm ging es wie mir vor meinem ersten Barcamp. Als ich vom ersten Barcamp in Berlin hörte dachte ich mir, das könne ja nichts werden. Das werde in Chaos enden und inhaltlich käme bestimmt nichts rüber. Nach den begeisterten Reaktionen war ich auf dem ersten Kölner Barcamp, immernoch in vorsichtiger Erwartung, und seitdem hat mich der Virus nicht losgelassen.

Prof. Göttler scheint eine ähnliche Entwicklung durchgemacht zu haben. Er möchte die Grundidee des Barcamps in den Veranstaltungen seines Instituts umsetzen, die Studenten also mehr an der inhaltlichen Gestaltung beteiligen. Und er rief alle Teilnehmer auf, sich mit Lehrveranstaltungen an der Uni zu engagieren. Ich für meinen Teil strebe ein solches Engagement an. Ich bin gespannt.

Der Kontakt zur Uni war nicht der einzige Kontakt zur Realität, der mich beeindruckt hat. Angetrieben durch den immer umtriebigen Initiator Darren Cooper engagierte sich das Mainzer Barcamp und vor allem die Zwei-Personen-Agentur „Scribble2Screen“ sowie mein alter Arbeitgeber netz98 bei einer sozialen Initiative. Die Mainzer Kinderkunst feierte fünfjähriges Bestehen und bekommt nun von Scribble2Screen demnächst eine schönere und bessere Webseite, die von den Kindern selber gepflegt werden kann und auf der die wirklich tollen Kunstwerke gut zur Geltung kommen werden.

Darren nutzte die Gelegenheit und präsentierte das Barcamp und die darauf versammelten „Internetspezialisten“ sehr sympathisch, auch gegenüber dem als Schirmherr anwesenden Bundeswirtschaftsminister Brüderle. Er machte klar, daß wir keine abgeschottete Community sind und verknüpfte unser Wissen mit sozialem Engagement. Mir ist erst im Laufe der Veranstaltung und dann beim späteren Nachdenken klar geworden, wie wichtig und richtig Darrens Engagement und Vision ist, die er mit diesem Barcamp verfolgte. Das Mainzer Barcamp soll der Kern einer besser vernetzten Internetcommunity Rhein-Main sein. Und diese Community soll sich besser und intensiver in der Öffnetlichkeit präsentieren. Denn bisher schmorten wir mehr im eigenen Saft. Wir wissen aber doch, daß wir alle intensiv Werbung für dieses toille Medium Internet machen müssen, daß wir Hemmschwellen und Verständnislücken abbauen müssen. Wir haben aber in der Vergangenheit wenig bis gar nichts dafür getan. Barcamps sind immer Szenetreffs gewesen, auf denen man Wissen untereinander ausgetauscht hat. Das ist auch klasse so. Darren hat eine neue Dimension hinzugefügt, den Austausch mit der „Umgebung“.

Das ist wichtig, das ist klasse und es ist für mich der Kerncharakter dieses Barcamps. Ich bin stolz auf die Organisatoren, daß sie ein richtig gutes Medienecho hinbekommen haben. Wir hatten nicht nur eine sehr interessante Diskussion mit zwei Mitarbeitern der Allgemeinen Zeitung Mainz, diese Zeitung berichtete schon am Samstag mit einem langen Text und einem kleinen Video vom Barcamp. Und in den Rheinland-Pfalz-Nachrichten vom SWR sind wir ab Minute 5:20 zu sehen. Ich bin dank meiner Körperfülle und roten Poloshirt gut zu erkennen 😉

Es ist eine sehr gute Idee, aus der Selbstbetrachtung heraus zu gehen und den Dialog mit den direkten Betroffenen eines neuen Mediums und neuer Technologien zu suchen. Wir müssen die Ängste, Wünsche, Verständnisprobleme der Nutzer kennenlernen, ihnen begegnen, sie aufklären. Wir müssen für unsere eigenen wirtschaftlichen Bedürfnisse kämpfen und die Basis für die von vielen von uns gewünschten neuen Methoden der Zusammenarbeit und des Lernens legen.

Das Mainzer Barcamp war für mich das erste Barcamp, das sich nach aussen leicht geöffnet hat. Es war inhaltlich eines der interessantesten Barcamps. Es waren ein paar alte Bekannte zu sehen, aber doch sehr viele „Erst-Camper“. Das macht Hoffnung und Lust auf eine Fortsetzung.

7 Kommentare

  1. Kann dem absolut zustimmen. War ein tolles Wochenende und ein super Barcamp. Freue mich auf die nächste Veranstaltung dieses Teams.

  2. Yep, Orga war klasse und das Gesamtpaket war rund. Nur die Vorstellungsrunde habe ich schmerzlich vermisst. Sie ist m. E. integraler Teil des Ablaufs und wertvoller Katalysator zum Kennenlernen! Auf sie zu verzichten finde ich unklug. Und wenn die Sessions dann eben alle 15min später begonnen hätten wäre das beherrschbar gewesen, wie auf anderen Camps auch.

    Warum verwendest Du das Wort ‚Internetspezialisten‘ – und dann in Anführungsstrichen?

  3. Sehr schöne Nachbetrachtung, Jens. Ich glaube, ich brauche noch ein, zwei Tage mehr Abstand, weil dieses Barcamp eins der intensivsten war, die ich bislang erlebt habe. Aber dann wird es auch von mir einen Blogbeitrag geben, der die Veranstaltung resümiert 😉

  4. @Karsten: Ich setze die „Internetspezialisten“ in Anfürhungszeichen, weil wir unter uns diesen Begriff nie verwenden, er aber ekzessiv in der Aussenkommunikation genutzt wurde. Und das war klug, denn er reduzierte die durchaus existierende Komplexität auf ein verständliches Minimum. Es ist also mehr ein Zitat, auf dessen Erklräung ich in Anbetracht der Länge des Beitrages verzichtet habe.

    Mir hat die Vorstellungsrunde nicht so richtig gefehlt. Wenn sich alle Teilnehmer an die Regeln halten ist sie gut, aber nicht in diesem Hörsaal. Ich habe es aber zu oft erlebt, daß nicht drei Tags nur nutzte sondern eher drei Sätze oder fast dreissig. Und das nervt. Zudem kann ich mir die Leute meist nicht merken. Aber ich gebe Dir recht, daß die Vorstellungsrunde eine Kommunikation in Gang setzen kann. In Stuttgart taggte sich jemand mit „RedDot“. Den mußte ich als Leidensgenossen kennenlernen 🙂

    Die fehlende Vorstellungsrunde hatte aber offenbar die Kommunikation nicht wirklich gestört, denn es war wirklich eine tolle Veranstaltung. Ich fand das Mittagessen am Samstag schlimmer 🙂

  5. sehr interessant zu lesen, so hab ich das noch gar nicht gesehen, bin aber auch noch nicht umgestimmt. 😉 vielleicht bin ich mit 15 barcamps eine zu alte häsin und verfalle in eine „früher war alles besser“ und „das haben wir aber immer so gemacht“-lethargie.

    ich bin übrigens der meinung, dass das essen eines der wenigen dinge ist, über die man bei einer kostenlosen veranstaltung, die hart nach sponsoren suchten muss, nicht meckert. 😉

    das engagement bei der kinderveranstaltung hingegen habe ich überhaupt nicht verstanden. klar ist soziales engagement immer super und wichtig, aber was hat das barcamp da gemacht? ist da geld geflossen, das eigentlich von sponsoren fürs barcamp kam? und sind nicht wir das barcamp? ich hab damit nix zu tun. (verschreit mich jetzt bitte als unsozial;).

    aber ich stimme dir zu, dass es ein ordentliches echo in den medien gab, wobei aber auch andere barcamps schon im lokalen fernsehn oder in der zeit online waren. 😉 ich bin mir aber noch nicht so ganz sicher, ob ich das wirklich als wichtig ansehe. aber vielleicht fehlt mir dazu der nötige weitblick. ich bleib lieber im kleinen kreis mit leuten, die wirklich ahnung haben … keine touristen.

  6. Sehr schöne Zusammenfassung eines ebenso schönen Barcamps.

  7. Thanks for sharing your thoughts with us, I always appreciate and value your opinion. I think Barcamp Mainz was a huge success and I enjoyed every minute of it. It was fun, let’s do it again sometime!

    Just for the record, no money went into the Mainzer Kinderkunst charity just networking, web services and some love.

    During the preparation for the Barcamp Mainz one of the Orga team members, Norbert Gilles mentioned a charitable project that was looking for a low budget website realisation.

    Michaela and I passed by to check out the place and it amazed us. Jeanette Illies who runs the it all single handed has given the children of Mainz a place and the know how to create amazing pieces of art, which means very much to the children who we met and who showed us some of their work.

    After that visit we knew that we wanted to support such a worthy cause.

    Inspired by the „Spendenaktion“ from Barcamp Hamburg, we thought it would be a nice project to support under the Barcamp Mainz flag. And we not only found enough volunteers within the team but also companies in the local network who supported us with hardware.

    Carlos from Scribble to Screen created a wonderful poster for the charity’s opening day
    & Ms Illies wanted to thank someone on the day for the contribution. So part of the team offered to go over because Carlos himself was rather ill.

    The Bundeswirtschaftsminister Mr Brüderle was also there on Sunday & we decided to present him with a Barcamp T-shirt and share the Barcamp idea with him. As he has a lot to do with Technology and Innovation and I think Barcamps are also about Technology & Innovation.

    For me communities are also about building bridges, bridges to the academic world, bridges to cultural institutions, bridges to other generations and bridges to the politicians.

    Netzkultur in Germany has a voice and has a lot to say, I hope the bridges help avoid potential isolation and give others a chance to share our perspective.