Webseiten sind noch immer keine Gemälde

Im Jahr 2005 schrieb ich für das PHPMagazin den programmatischen Artikel „Webseiten sind keine Gemälde„. Im September 2006 veröffentlichte ich ihn dann auf webkrauts.de und ich finde nicht, daß er inhaltlich in irgendeiner Form überholt oder überflüssig geworden ist. Die Verständnisprobleme bezüglich dieses tollen Mediums bestehen noch immer fort. Das wundert mich auch nicht, angesichts der Jugend dieses schnell wachsenden Mediums.

Eine Kernwahrheit meiner Ausführungen hat Matthias Mees in seinem Artikel „Sokrates für Browserflüsterer“ sehr schön formuliert und auf den Punkt gebracht: wir wissen nicht, in welcher exakten Form unsere Produkte, die Webseiten, konsumiert werden. Ist es ein Browser? Welche Version? Welches Betriebssystem? Auf einem Notebook im Garten unter Sonneneinstrahlung oder in einem Rechenzentrum mit Neonlicht? Ist der Browser zur vollen Größe ausgefahren?

Ich könnte noch viele weitere Fragen stellen, die alle auf das Gleiche hinauslaufen: wir können nicht wissen, wie unsere Seiten wirken werden, wir können nur raten und uns auf einen Kompromiss mit dem Kunden einigen. Der will meist nur, daß die Webseiteihm gefällt und vergißt dabei, daß sie eigentlich den Besuchern seiner Webseite gefallen muss.

Wenn wir aber nicht wissen, wie jemand unsere Seite konsumiert, dann ist es eine kluge Strategie, die Seite so anzulegen, daß man sie möglichst ohne große Hindernisse konsumieren kann, egal wie man auf sie zugreift. Manche nennen das Barrierefreiheit, manche Zugänglichkeit. Man kann das auch als eine Strategie bezeichnen, die die potentielle Zielgruppe in ihrer Größe optimiert. Wenn jeder auf eine Seite zugreifen kann, egal womit und wo, dann gibt es keine Steigerungsmöglichkeit mehr.

Wichtig ist bei all dem aber ein Grundgedanke, an den sich alle Beteiligten leider noch immer gewöhnen müssen: wichtig sind für die meisten Seiten nicht in erster Linie das Layout und die Effekte, sondern der Inhalt. Dieser muss erreichbar sein. Dann kann es vorkommen, daß der IE6 weder Schatten noch runde Ecken hat und die Tabellen nicht im Zebra-Layout daherkommen. Da kann es sein, daß die wenigen, die kein Javascript haben, ein paar Effekte, ein paar ergänzende Inhalte nicht sehen und daß deren Seite anders angeordnet ist, weil die Reiter fehlen.

Das ist alles kein Drama. Das ist Teil des Mediums. Ich wünsche mir mehr Gelassenheit gegenüber den Beschränkungen und Differenzen, die wir beim Zugriff auf dieses Medium haben. Sie sind der Kern der Attraktivität des Internet. Eine Zeitungsausgabe sieht immer gleich aus, egal wo ich sie kaufe, egal ob ich eine eingeschränkte Sehkraft habe oder nicht. Ich muss mich dieser Zeitung anpassen und muss mit ihrer Breite und den Schriften zurecht kommen. Im Internet kann ich mir alles so einstellen, daß es mir selber paßt, nicht dem Herausgeber der Tageszeitung. Das ist das Revolutionäre, das Demokratische, das Geniale am Internet. Es gilt, diese Genialität zu entdecken und zu nutzen, nicht sie zu negieren.

4 Kommentare

  1. Und es stimmt immer noch 😉

  2. Ich danke für die Blumen und freue mich über die Sätze »Das ist alles kein Drama. Das ist Teil des Mediums.« – das ist eigentlich ein T-Shirt-Aufdruck 🙂

  3. Der Inhalt sollte der Ausgangspunkt einer Website sein, nicht das Design. Das Design sollte aber zum Inhalt passen.

    Mittels progressivem Enhancement kann man auch heute schon für moderne Browser „runde Ecken“ und Schatteneffekte bieten, ohne das (X)HTML-Gerüst dafür mit nichtsemantischem Code zu belasten (siehe mein Blogbeitrag „CSS3: Stufenweise Verbesserung des Blog-Layouts“ unter http://www.dieter-welzel.de/blog/css3-stufenweise-verbesserung-des-blog-layouts/ dazu).

  4. Manueller Trackback:
    Januar 2009 im Kontext
    http://hyperkontext.at/weblog/artikel/januar-2009-im-kontext/

    […] Jens Grochtdreis hat sich da an seinen legendären Text aus 2005 erinnert, der klar macht, dass wir es bei Webseiten nicht mit Gemälden zu tun haben […]