Efa-Tagung zur Barrierefreiheit

Ich habe an anderer Stelle schon einen ausführlichen Beitrag zur Efa-Tagung geschrieben. Er ist natürlich nicht umfassend, trotz seiner Länge und manche Gedanken paßten nicht in den Text. Mein persönliches Fazit zu dieser Veranstaltung ist zwiegespalten. Doch da steht sie nicht allein und reiht sihc in andere Kongresse ein.

Prinzipiell sollte man davon ausgehen, daß eine Tagung, die von der Aktion Mensch und ihrer Internetplattform „Einfach für alle“ veranstaltet wird, das Beste wiedergibt, was es im deutschsprachigen Raum zum Thema Barrierefreiheit zu sagen gibt. Nicht nur, weil es sich um die Veranstalter des BIENE-Award handelt, sondern weil auch die Webseite „Einfach für alle“ das Beste ist, was es zum Thema gibt. Wer selten auf Kongressen ist, wär sicherlich mit dieser Erwartung nach Gelsenkirchen gefahren und wär bitterlich enttäuscht gewesen. Die beiden Vorträge der Veranstalter waren dröge, uninspiriert, einfach schlecht. Die beiden Moderatoren, die ich in den sogenannten Workshops erlebt habe, waren überfordert. Beide konnten keine Diskussionen führen, waren thematisch nicht vorbereitet und einer – bezeichenderweise ein Herr Professor – hatte definitv überhaupt keine Ahnung.

Die Workshops waren keine, sondern eine kleine Podiumsdiskussion mit Publikumsbeteiligung. Doch leider waren die Diskussionsleiter schnell überfordert. Im ersten Workshop sollte Design unter Barrierefreiheitsgesichtspunkten diskutiert werden. Wurde es leider nur selten. Anstatt einmal genauer zu ergründen, warum so viele barreierefreie Seiten unnötigerweise häßlich sind und welche Designdetails vielleicht nunmal gar nicht auf barrierefreien Seiten gingen, wurde ein bunter Strauß an Themen angesprochen. Die Experten waren thematisch noch dabei, aber gleich der erste Diskussionsbeitrag aus dem Plenum gibg kilometerweit am Thema vorbei. Da hatte endlich jemand mal seinen Frust loslassen wollen, daß man Barrierefreiheit doch nicht verkaufen könne, das alles zu teuer sei. Anstatt daß der Moderator dem Teilnehmer das Wort entzog und klare inhaltliche Regeln festlegte, ließ er die Debatte einfach laufen. Immer wieder kamen wir mal zurück zum Thema. Ich selber stellte eine klare Frage, ob und wie wir die Ausbildung der Designer verbessern könnten, damit sie auch mehr technisches Grudnverständnis bekämen, was für Barrierefreiheit in meinen Augen unerläßlich ist. Die Antworten der Experten waren interessant, schrammten aber immer wieder an meiner Frage vorbei.

Die Nachmittags-Session war der absolute Reinfall, wenn man sich auf anspruchsvolle Informationen eingestellt hatte. Der Moderator irritierte nicht mit Fachwissen, was mich wiederum irritierte, denn er durfte sich Professor nennen. Einer der Experten war ein Quartalsschwätzer. Der Vertreter von Microsoft pries als Zukunftsvision eine Technik an, die MacOSX und Linux schon seit Jahren eingebaut haben. Offenbar hatte ihm niemand gesagt, daß es Funktionen von MacOSX und Linux gibt, die Microsoft noch nicht kopiert und dann als tolle Innovation verkauft hat. Einzig Chris Heilmann rettete mit seiner lockeren Art und seiner Fachkompetenz die Diskussion, in der der andere fachkompetente Teilnehmer, Jan Eric Hellbusch, ledier selten zu Wort kam.

Michael Jendryschik und Gerrit van Aaken finden auch sehr deutliche Worte über die Veranstaltung. Eine umfassendere Presseschau gibt es beim efa-Blog.

Doch warum hört sich mein Beitrag bei trycatchfinally so viel neutraler an und warum bin ich doch nicht enttäuscht von der Veranstaltung? Seit ein paar wenigen Jahren bin ich immer mal wieder auf Kongressen und ähnlichen Veranstaltungen. Meine Erwartungshaltung hat sich dadurch stark verändert. Die @media 2006 war beispielsweise eine lange von mir herbeigesehnte Veranstaltung, deren inhaltliche Durchschlagskraft mich sehr enttäuscht hatte. Einzig die genauere Erläuterung der Mikroformate von Tantek Çelik war gut. Eric Meyer hatte nach dem Motto „Opa erzählt vom Krieg“ ein bisschen was über die Entstehung von CSS erzählt, es gab eine höllsich schlechte Diskussion über „Good Design vs. Great Design“, in der Veerle Pieters richtig schlecht wegkam. Insgesamt war diese Veranstaltung ein großer Zirkus mit Vortragenden, die sich alle paar Monate an einem anderen Flecken der Erde über den Weg laufen und der Menge ein paar nette Süssigkeiten mit wenig Nährwert als Vorträghe hinwarfen.

Doch warum habe ich die @media nicht nur schlecht in Erinnerung? Ich habe interessante Gespräche geführt und viele Menschen das erste Mal getroffen, die ich sonst nur per Mail oder per Weblog kannte. Viele neue Freundschaften entstanden oder wurden gefestigt.

Bislang war jede kostenpflichtige Konferenz inhaltlich eine Enttäuschung. Einzig die „webinale 2007“ hatte inhaltlich was zu bieten, nicht nur meine eigenen beiden Vorträge. Meiner Erfahrung nach taugen Konferenzen nur zum Kennelernen oder Wiedersehen. Dazu hatte ich in Gelsenkirchen genügend Gelengehit und war stolz, daß ich etwa zwei Dutzend Webkrauts begrüßen und sprechen durfte. Manche traf ich zum wiederholten Male, manche – wie Michael Jendryschik, Stefan Walter und Maxx Hilberer – zum ersten Mal. Der persönliche Austausch auf solchen Konferenzen ist unbezahlbar. Er ist inspirierend und motivierend.

Möchte man dazu auch noch inhaltlich ein paar interessante und lehrreiche Stunden erleben, dann bleibt uns nichts anderes übrig, als auf Barcamps zu gehen. Die interessantesten Sessions habe ich immernoch auf Barcamps und beim Devhouse in Köln gehabt. Umso wichtiger ist es, daß auch die Barcamps nicht zu Treffen eines Wanderzirkusses ausarten, bei dem sich immer wieder die gleichen Leute treffen. Denn innerhalb von ein oder zwei Monaten hat man selten neue Einsichten gewonnen, die so spannend sind, daß man sie sofort mit allen teilen muss.

Wenn man also wie ich ohne Erwartung nach Gelsenkirchen gefahren ist, dann war die Veranstaltung gut. Für mich haben sich die vielen Gespräche mit Webkrauts gelohnt. Aber ich habe auch Einsichten gewonnen, die ich ansonsten nicht bekomme. Der selbstverständliche Umgang mit Menschen untererschiedlichster Behinderungen war für mich beeindruckend. Ich bin sonst nie mit Blinden oder Gehörlosen konfrontiert. Die Arbeit der Gebärdendolmetscher hat mich zutiefst beeindruckt und begeistert. Und die Beiträge der Behinderten selber, vor allem der vielen Gehörlosen, hat mir eine neue Sichtweise auf das Internet vermittelt. Auch die Ergebnisse der Studie – die die ich mitbekommen habe und nicht vor Langeweile abgeschaltet habe – haben mir deisbezüglich die Hoffnung vermittelt, daß wir trotz mangelnder Barrierefreiheit durch das Internet viele Behinderte erreichen können.

Ein Ergebnis meiner zahlreichen Konferenzen bleibt unter dem Strich unabhängig von den Themen übrig: man findet selten einen Deutschen, der gut und interessant vorträgt. Die Amerikaner und Briten sind uns in diesem Punkt um Lichtjahre voraus. Das ist traurig. Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf, daß sich das noch ändern wird. Ob ich das noch erleben werde ist allerdings fraglich.

4 Kommentare

  1. Hmmm. In meiner Heimatstadt, der Haupstadt Badens, findet demnächst ja auch „sowas“ statt. Geht da eigentlich jemand hin? Mir graut es ja sehr vor nichtssagendem Selbstbeweihräuchern und selbstreferenziellem Geblubber, aber einen Blick wärs eigentlich mal wert… Ach, 700 Euro?! Danke, bitte. Geschenkt.

    Mal alle wieder runterkommen.

  2. Jens Grochtdreis

    12. Mai 2008 um 11:27 Uhr

    Ich verstehe, daß Du den Eintritt happig findest. Er wird auch nicht nur mit der Miete des Veranstaltungszentrums zu begründen sein. Wie erwähnt fand ich die Webinale letztes Jahr erstaunlich gut. Wenn Du Dich früher entschiden hättest, hättest Du auch viel Geld sparen können.

  3. Zwischen mir und den Eröffnungs Vorträgen stand eine Barriere in Form von nicht optimaler Akustik (ich kann nicht ganz so gut hören, die ständige unterschwellige Rückkopplung habe ich aber durchaus gehört, weil das Piepen sich anhörte wie mein Tinnitus). Also habe ich versucht das vorgetragene mitzulesen, was aber auch unbefriedigend war, weil die Texte teilweise vom Gebärdensprachen-Fensterchen überdeckt wurden. Nach zähen 20 Minuten musste ich dann zwangsabschalten weil ich meine Konzentration ja noch für ein paar Stündchen brauchte, deren Höhepunkte für mich aber auch eher das Zusammentreffen mit Menschen war, von denen ich bisher nur ihre digitale Version kannte.

  4. Vor der Veranstaltung hat mir einer der Experten aus der Behindertenszene verraten, dass er auf der Tagung eigentlich nur „Hochglanzgelaber“ erwartet. Nach dem hören der Streams von den Hauptveranstaltungen und meiner beiden ausgewählten Workshops fand ich, dass er wohl leider größtenteils recht hatte. Ich finde es komisch, dass immerzu von behinderten Web-Nutzern geredet wird, unterm Strich aber immer die gleichen und meist nicht wirklich repräsentativen Menschen anwesend sind. Laut auf der Tagung geäußerter Expertenmeinung dürfte ich als blinder Anwender sowas wie Wikipedia garnicht bedienen können. Ich habe keinerlei sehende Unterstützung im Alltag und wenig Computerkenntnisse und doch bin ich anscheinend in der Lage, Mediawiki basierte Wikis zu nutzen und sogar eine Anleitung für andere blinde Durchschnittsnutzer dafür zu schreiben:
    http://de.wikipedia.org/wiki/Hilfe:Blinde_Benutzer
    Vielleicht ist das für den einen oder anderen Leser ja interessant.

    P.S.: Es tut mir leid, ich gehöre auch zu den Leuten, die immer noch den IE6 nutzen. Da ich aber kein Geld für das Update auf eine aktuellere Screenreader-Version, die mit dem IE7 oder FF2 gut zusammen arbeitet, habe, muss ich zwangsläufig dabei bleiben. Dieser Nachtrag bezieht sich auf den Beitrag „Stoßgebet“ dieses Blogs. 😉