Beta Tests

Ein immer wieder anzutreffendes Stilelement moderner Web-Applikationen, im Volksmund „Web 2.0-Dienste“ genannt, sind Beta-Tests. Interessierte Nutzer melden sich zur Nutzung eines Dienstes an, um ihn noch in der Entstehungsphase zu testen und im Idealfall wichtiges Feedback an die Anbieter zu geben. Es gibt dabei so manche Dienste, bei denen sich immer wieder die gleichen Personen zum Testen einfinden.

In den letzten Tagen habe ich interessante Varianten kennengelernt, die zu den allgemein üblichen Varianten hinzukommen. Deshalb versuche ich hier einmal eine kleine Typologie.

  1. Beta-Test auf Anmeldung

    Sehr üblich ist es, daß man auf der Webseite des neuen Dienstes seine E-Mail-Adresse hinterläßt und dann angeschrieben wird, wenn wieder „Plätze frei“ sind. Während dieser Phase existiert der Dienst nur für die Beta-Tester, deren Zahl hin und wieder aufgestockt werden kann. Es kann sein, daß der Dienst dabei einschläft, wie dies beim Webtracker „Measure Map“ der Fall war. Es muss aber nicht so weit kommen.

  2. Der immerwährende Beta-Test

    Es hat lange gedauert, bis Dienste wie Flickr das „Beta“ aus dem Logo strichen. Damit haben sie in ihrer Anfangszeit den Anspruch unterstrichen, ständig an Features zu arbeiten. Dies ist unter dem Stichwort „Perpetual Beta“ bekannt.

  3. Beta-Test mit versuchter Bestechung

    In der vorletzten Woche bekamen einige Blogger – unter anderem auch ich – Päckchen mit seltsamem Inhalt: eine Zahnbürste, ein Nassrasierer und ein Motorola-Handy wurden von einem unbekannten Absender verschickt. Jedes Päckchen hatte eine eigene Nummer. Ich war beispielsweise Nummer 24, Perun Nr. 25, Manuela Hoffmann Nr. 99.

    Erst nach einer Woche wurden wir durch einen Brief vom Absender über den Sinn in Kenntnis gesetzt. Bis dahin war viel Zeit für Spekulationen, die so mancher nutzte. Dadurch bekam die unbekannte Firma einen prima Werbeeffekt, alles für ein schlechtes Handy, eine Zahnbürste ohne Verpackung und einen Nassrasierer. Alle Ideen über den Urheber waren übrigens falsch.

    Der Sinn der Geschichte war offensichtlich die persönliche Einladung zum Beta-Test eines neuen Dienstes. Anstatt einer normalen Mail wollte man Aufmerksamkeit erheischen. Mich würde dabei die Erfolgsquote interessieren, denn trotz des Bestechungspaketes habe ich mich bislang noch immer nicht registriert. Patrick Breitenbach läßt an der Aktion auch kein gutes Haar.

  4. Beta-Test mit Unkostenbeitrag

    Sehr verblüfft war ich, als mir Tomas Caspers eine Mail weiterleitete, die er als Antwort auf eine Anmeldung zum Beta-Test eines interessanten neuen Dienstes bekommen hatte. Der an der Uni Osnabrück entwickelte Dienst GoodGaze verspricht, Nutzungsverhalten vorauszusagen. Sozusagen eine „Hellseher-Heatmap“

    Nach der Anmeldung zum Beta-Test bekam Tomas eine Mail, in der ihm mitgeteilt wurde, daß die Nutzung des Beta-Tests einen Unkostenbeitrag von 150 Euro (zzgl. USt) kosten würde. Ein Dienst wird also von Steuergeldern bezahlt und möchte zudem noch kostenlose Debugging-Leistungen erbracht bekommen, verlangt dafür aber noch Geld, anstatt den Testern welches zu zahlen. Die Betreiber begründen dies mit der hohen Rechenleistung ihrer Dienstleistung. Wenn ich aufgehört habe, mich aufzuregen, werde ich sie sicherlich auch dafür bedauern. Diese Form der Dreistigkeit im Zusammenhang mit einem Beta-Test ist mir noch nie untergekommen und ich nehme an, daß das auch nicht zukunftsträchtig sein wird.

  5. Die öffentliche Anmeldeliste

    Eine pfiffige Abwandlung der ersten Version gibt es neuerdings aus deutschen Landen. Andreas Dittes und zwei Kollegen entwickeln einen neuen Dienst, der „Social Dingenskirchen“ und Fernsehen zusammenbringen soll. Kurzgefaßt soll man wohl während des Fernsehens sich mit anderen über das Programm austauschen können. (Ich hoffe, das Konzept wird spannender, als das Fernsehprogramm schon seit Jahren ist.)

    Anstatt nun aber die Beta-Tester einfach über ein normales Kontaktformular einzuladen, darf man nun sein eigenes Tipi (Zelt) zum Warten auf einer speziellen Webseite aufschlagen. Eine witzige Idee, die mehrere interessante Aspekte hat: es wird nicht nur eine E-Mailadresse abgefragt, sondern ein kleiner Mehrwert zur Anmeldung geboten. Ein Interessent kann zudem überprüfen, wer seiner Bekannten sich auch für den Dienst interessiert und bekommt so evtl. schon einen Anreiz zur Anmeldung. Schön ist auch die Analogie zur realen Welt gelöst, indem auf der Webseite auch Nacht wird.

Ja, die schöne neue Web 2.0-Welt bringt interessante Ideen an allen Ecken und Ende hervor. Aber nicht alle Ideen sind dabei wirklich tauglich. Patrick Breitenbach hat Recht, wenn er schreibt, daß alle Trittbrettfahrer mehr von der Päckchen-Aktion gehabt haben, als Tchibo. Nach der Auflösung habe ich noch keine Berichte über den Dienst gelesen.
Warum soll ich eigentlich einen Dienst testen, nur weil mir jemand ein Werbegeschenk dafür zusendet? Das ist für die zu testende Applikation eine denkbar schlechte Motivation. Wenn jemand meinen professionellen Rat haben will, soll er dafür bezahlen. Oder er bekommt ihn kostenlos, wenn ich mich für die Applikation interessiere.

Aber wenn ich dann einen solchen Dienst teste, käme es auf alle Fälle nie in Frage, dafür Geld zu bezahlen. An der Uni Osnabrück hat man offenbar das Wesen des Kommunikationsmediums Internet nicht verstanden. Man hat dort vor allem nicht verstanden, wer in einer Beziehung „Beta-Dienst“ und „Beta-Tester“ Forderungen stellen kann. Sollte man dort nicht lernfähig sein, so kann ich nur hoffen, daß das Institut mit dem Dienst baden geht und fortan die Finger vom Internet läßt. Es ist ja nicht so, daß wir zuwenige Web 2.0-Dienste hätten. Da müssen die Datenleitungen von solch seltsamen Typen nicht auch noch verstopft werden.

3 Kommentare

  1. Schön, dass ich nicht der einzige bin, der sich über GoodGaze aufgeregt hat. Darüber, 150 EUR bezahlen zu müssen, um einen Dienst testen zu dürfen, kann man eigentlich nur lachen. Mich überzeugen die Argumente, weshalb eine solche Gebühr notwendig wäre, ebenfalls nicht. Aber vielen Dank dafür, dass du mich auf den o.a. Blog-Eintrag aufmerksam gemacht hast. Ich habe GoodGaze soeben eine E-Mail geschrieben und um einen kostenlosen Zugang gebeten. Ich werde darüber berichten, ob ich einen solchen erhalten habe, und falls ja, von welcher Güte die Testergebnisse sind.

  2. finde es auch ziemlich arm was hier von goodgaze abgezogen wird.

    @mi: bitte sag doch mal ob es bei dir geklappt hat.